Die globalisierte Welt bietet so viele leicht erreichbare Urlaubsziele wie nie zuvor. Egal ob man von Deutschland aus nur ins nahe Österreich reist oder in die entlegensten Gefilde des Planeten, all dies stellt heute kein Problem mehr dar. Und in exotische Länder zu reisen, hat für Viele einen gewissen Reiz und Nervenkitzel. Selbst Konfliktgebiete werben heutzutage um Touristen, auch am Rande Europas. Wobei die Kaukasusrepublik Tschetschenien ein skurriler Kandidat für einen gemütlichen Urlaub ist und man eine Reise in die chronische Unruheregion im Kaukasus wohl eher unter der Rubrik „Abenteuerurlaub mit Risikoversicherung“ verbuchen kann. Und in der Tat will das von zahlreichen Kriegen geschüttelte Tschetschenien Touristen aus aller Welt anlocken. Doch der Mann, der genau dafür kräftig die Werbetrommel rührt, ist kein smarter Reiseverkehrskaufmann, sondern der wahrscheinlich schlimmste Tyrann in Europa: Ramsan Kadyrow!
Mit Mord und Folter zur Stabilität
Tschetschenien ist heute formell ein Teil der Russischen Föderation und untersteht damit der Ägide Moskaus. Doch soviel zur Theorie. In der Praxis hat nicht der Kreml das Sagen, sondern Ramsan Kadyrow, das offizielle Staatsoberhaupt der autonomen Republik im Kaukasus. Mit einem Mix aus eigener Willkür und der Scharia kontrolliert der 38-jährige Blondschopf das Land mit harter Hand. Seine Macht stützt sich dabei auf mehrere zehntausend Söldner, die sogenannten „Kadyrowzy“. Zwar gibt es immer noch Anschläge und vereinzelte Gefechte zwischen Kadyrow´s Milizen und den verbliebenen separatistischen Rebellen im Gebirge, doch die Situation ist weit stabiler und ruhiger als noch vor einigen Jahren. Diese Friedhofsruhe verdankt Tschetschenien dem brutalen Terror Kadyrow´s und seiner Milizionäre. Diese haben mit Angst und Schrecken, Folter und zahlreichen Morden an Zivilisten die Bevölkerung derart eingeschüchtert, dass sich immer weniger Widerstand gegen sein Regime regt. Zu groß ist die Angst, ebenfalls in den gefürchteten Folterkellern des Kadyrow-Clans zu landen, über welche die „Frankfurter Rundschau“ schon im April 2003 berichtete. Doch genau diese Friedhofsruhe biete geradezu ideale Bedingungen, um endlich den Tourismus zu entdecken und anzukurbeln, spotten Zyniker. Schon vor 8-9 Jahren, als der Partisanenkrieg noch stärker tobte, wollte der bullig gebaute Ramsan Normalität simulieren. Er karrte Mike Tyson nach Tschetschenien, lud Schönheitsköniginnen aus aller Welt in die Ruinen der Hauptstadt Grosny ein und ließ sich mit den irritierten Damen ablichten. Doch die von der russischen Armee zerbombten Städte sind mittlerweile wieder weitgehend aufgebaut und „König Ramses“, wie Kadyrow von seinen Anhängern genannt wird, betätigt sich als Baumeister.
Aquaparks und Skipisten sollen den Krieg vergessen machen
Schon seit Jahren überzieht Kadyrow Tschetschenien mit touristischen Bauprojekten. Aquaparks in den Städten, Straußenfarmen in der nördlichen Steppe, Reitanlagen im ganzen Land und Skipisten in den Bergen. In erster Linie sollten und sollen diese Bauten die einheimische Bevölkerung vergnügen, um den grausamen Krieg und wohl auch Kadyrow´s Terror gegen das eigene Volk in Vergessenheit geraten zu lassen. Doch Ramsan, der mittlerweile mit täglichen Bildern über sein Leben bei Instagram glänzt und Follower aus aller Welt in seinen Twitter-Reihen hat, will sein Land, das er wie ein mittelalterlicher Burgfürst mit Gesetzen nach eigenem Gutdünken regiert, nun auch für ausländische Urlauber öffnen. Schließlich verfüge Tschetschenien von der nördlichen Steppe bis zum südlichen Hochgebirge gleich über mehrere Klimazonen und daher sei es „töricht, sich einen Urlaub in einem solchen Land entgehen zu lassen“, erklärt Ramsan der internationalen Öffentlichkeit. In der Tat kann die Republik im Kaukasus trotz der jahrhundertelangen Kriege gegen Russland und untereinander mit einer wunderschönen Natur glänzen. In Grosny und anderen Städten schießen Hotels wie Pilze aus dem Boden, Wellness, Spa, Schwimmbäder etc., doch noch sind sie weitgehend unbezahlbar für die Einheimischen, während sich Auswärtige bisher kaum in die Region verirren. Sollten sich neben fragwürdigen Figuren wie Gerard Depardieu aber auch andere Ausländer als Urlauber oder sogar als Zugezogene nach Tschetschenien wagen, hätte dies dennoch einen faden Beigeschmack. Denn die Sicherheit kann trotz der Stabilisierung der letzten Jahre nachwievor nicht 100%ig garantiert werden. Hinzu kommt, das dem für den Tourismus werbenden Tyrann nachgesagt wird, für zahlreiche Morde und Folter verantwortlich zu sein. Mehrere tausend Menschen sollen Kadyrow und seine Milizen schon getötet haben, sagen russische Menschenrechtler, mehr als 30.000 seien es sogar, behaupten die tschetschenischen Rebellen, die in Kadyrow einen moskautreuen Verräter sehen. 2010 schockte Kadyrow zudem die Welt mit einer Horror-Aussage, die ihresgleichen sucht. Als ein Mädchen ihren Vater, einen Kadyrow-Milizionär, wegen Misshandlung anzeigen wollte, kommentierte Ramsan dies mit den Worten „Was ist das für ein Mann, der seine eigene Tochter nicht umbringt? Schämen soll er sich“. Macht man sich also zum Satrap eines Diktators, wenn man in einem solchen Land Urlaub macht? Diese uralte moralische Frage gilt natürlich für alle Länder weltweit, in denen die herrschenden Regime alles andere als lupenreine Saubermänner sind.
Der Tod des Vaters katapultierte Ramsan an die Macht
Was in Deutschland kaum möglich wäre, glückte Ramsan Kadyrow im Mai 2004. Nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters, des pro-russischen Präsidenten Achmad Kadyrow, gelangte der blonde Sohnemann im zarten Alter von 27 Jahren an die Macht. Und es waren nicht Bildung und politische Erfahrung, die den für seine Brutalität bekannten Milizführer an die Spitze des damals noch komplett verwüsteten Tschetscheniens spülten, sondern die Tatsache, dass er nach Ansicht Putins der einzige Mann war, der in die großen Fußstapfen seines Vaters treten könne. Bis heute halten sich daher auch Verschwörungstheorien, wonach Ramsan den Mord an seinem Vater persönlich in Auftrag gab, um selber an die Macht zu kommen. Der Hobbyboxer und passionierte Bienenzüchter, der nicht mal über einen Schulabschluss verfügt, war schon damals Kommandeur einer 15.000-20.000 Mann starken Privatarmee, so das dem Kremlchef kaum etwas anderes übrig blieb, als den Junior zum Nachfolger des toten Seniors zu machen. Das es Ramsan, der noch vor zehn Jahren kaum lesen und schreiben konnte und wirres Zeug in die Kameras stammelte, gelingen würde, die Heimat mit brutaler Gewalt gegen Freund und Feind zu stabilisieren, gleicht einem Wunder. Doch die plötzlichen Aufstände in arabischen Diktaturen schweben wie ein Damoklesschwert über Kadyrow, der sich seiner Sache dauerhaft nicht sicher sein kann. Ob man die derzeitige Friedhofsruhe in Tschetschenien nutzen will, um das Land als risikofreudiger Exot zu erkunden, bleibt jedem selber überlassen. Eine gewisse Gefahr und ein ungutes Bauchgefühl reisen aber sicherlich mit.